Ari Seth Cohen schießt Fotos von Senior*innenpärchen und zeigt, wie schön es ist, auch im fortgeschrittenen Alter verliebt zu sein.
So schön ist Liebe im Alter
Zuneigung, Verbundenheit, geistige und körperliche Anziehung – so schön das Gefühl der Liebe ist, so schwer ist es zu beschreiben. Liebe fühlt sich mit 20 Jahren anders an als mit 40 oder 70. Liebe verändert sich. Wie auch die eigenen Bedürfnisse und Wünsche an den*die Partner*in. Jede Liebe ist einzigartig, oft wunderschön, nie reibungslos. Für manche funktioniert Liebe erst bei gegenseitiger Unabhängigkeit und genügend Raum, um sich als Individuum entfalten zu können. Andere wünschen sich in einer Beziehung möglichst eine Symbiose. Für manche trifft eine intensive, aber platonische Freundschaft am ehesten das Gefühl der wahren Liebe. Für andere ist Liebe und Sex untrennbar. Wieder andere glauben überhaupt nicht an das Konstrukt der Liebe.
Liebe ist von Zeit und Alter unabhängig. Es gibt Paare, die sich bereits in der Jugend finden und ihr restliches Leben zusammen verbringen. Es gibt Menschen, die ihre Liebe erst spät im Leben finden. Aber was ist eigentlich Liebe? Was machst sie aus und was ist das Geheimnis einer langen, glücklichen Beziehung? Diese Fragen stellte sich Fotograf Ari Seth Cohen, als er seine erste ernste Beziehung einging. Und wer wären bessere Ansprechpartner*innen als Menschen fortgeschrittenen Alters?
Altsein ist nichts Negatives
Ausgestattet mit seiner Kamera hielt Cohen auf der Straße nach Paaren Ausschau, die ihre Jugend bereits hinter sich gelassen hatten. Zum einen, um sie zu fotografieren, zum anderen, um zu erfahren, was sie zusammengebracht und was sie zusammengehalten hat. Das Ergebnis ist das Fotoprojekt Advanced Love mit mehr als 200 Fotos von Pärchen samt deren Geschichten und dem Beweis, dass Liebe kein Alter kennt.
Medien würden zudem ständig suggerieren, dass Altern etwas Negatives sei. Radio und TV würden Produkte bewerben, die auf den körperlichen Verfall ausgerichtet seien. Hörhilfen, Medikamente, Anti-Falten-Cremes, Haarfärbemittel, um die grauen Haare zu verstecken. „Ich stelle daher Menschen vor, die in ihrem Stil, ihrer Weisheit und in ihrem Alter fortgeschritten sind“, sagt der in New York und Los Angeles lebende Fotograf. „Ich wollte die Wahrnehmung des Alterns bei den Menschen verändern und zeigen, dass man seinen Sinn für Stil, Kreativität, Stärke und Vitalität im Alter nicht verlieren muss.“
Neue Liebe mit 94
Die fotografierten Pärchen leben in den unterschiedlichsten Beziehungen: geschlossen, offen, hetero- oder homosexuell, fern von kulturellen, nationalen und religiösen Konventionen. Einige sind seit Jahrzehnten zusammen, manche sind sich erst kürzlich begegnet. So zum Beispiel die 97-jährige Evita. Beim Senior*innentreff lernte sie den zwölf Jahre jüngeren Hans kennen – und es hat gefunkt. „Wir sind schon zusammen im Heißluftballon geflogen, haben Ausflüge mit dem Auto gemacht und sind auf der Seilrutsche durch die Baumwipfel gefahren“, erzählt sie. Bob und Rita aus Palm Springs in Kalifornien hingegen erzählen, wie sie sich mit elf Jahren kennenlernten und mittlerweile seit 60 Jahren verheiratet sind. Das habe nur funktioniert, weil sie dieselben Grundwerte teilen und sich dazu immer noch zum Lachen bringen können. Teil der Porträtserie ist auch Günther Krabbenhöft, in Berlin besser bekannt als der sogenannte Hipster-Opa und von der Huffington Post beschrieben als „officially the world’s most fashionable grandpa“.
Außerdem auf ze.tt: Diese Fotos zeigen, dass ein schönes Lachen keine Frage des Alters ist
Im Alter von 17 Jahren wurde Lydia an die Front gerufen, zur Verteidigung des russischen Vaterlandes. Als Krankenschwester half sie Ärzt*innen, Verwundete aus der Kampfzone zu bringen. Nach Kriegsende behielt Lydia ihren Beruf bei und blieb Krankenschwester. Sie hat zwei Söhne. Mit 92 Jahren hat sie immer noch eine Menge Spaß am Leben, macht ständig Witze, singt Lieder und tanzt manchmal mit dem Psychologen und Animator des Altenzentrums, in dem sie lebt. | Foto: Ilya Nodia
Valery war Oberst der Panzerkräfte und engagierte sich in militärischen Entwicklungen zum Schutz seiner Heimat. Er singt gerne Militärlieder und glaubt, dass das Wichtigste ein friedlicher Himmel über seinem Kopf ist. | Foto: Ilya Nodia
Elisaveta war außerordentliche Professorin für Chemie an der Staatliche Lomonossow-Universität in Moskau. Sie widmete ihr Leben der Familie und der Wissenschaft. „Ich glaube, dass das Wichtigste das wahre Interesse an dem zu untersuchenden Thema, die natürliche Neugierde und die Liebe zum Leben ist.“ Sie liebt Brettspiele unter freiem Himmel. | Foto: Ilya Nodia
„Ich habe mein ganzes Leben lang als Verfahrenstechniker gearbeitet und bin überzeugt, dass die Zukunft in Innovation und Fortschritt liegt.“ Sergej spielt gerne Schach und feiert Partys. | Foto: Ilya Nodia
Als Kind konnte Anna nicht zur Schule gehen, weil sie sich um das Haus und ihre jüngeren Geschwister kümmern musste. „Ich liebte Ivan, einen Mann aus einem nahegelegenen Dorf, aber er musste an die Front, wo er bald starb“, sagt sie. Er war ihr einziger Mann. Heute bastelt Anna gerne, sie hilft beim Bau von Papierschlössern für ihre Freund*innen im Altenpflegezentrum. Sie liebt es, wenn ihre Verwandten Urlaub machen und ihr von den Reisen Geschenke mitbringen. Mit 90 hat sie sich im Altenzentrum neu verliebt. | Foto: Ilya Nodia
Tatianas Gespräche sind meist von hoher intellektueller und philosophischer Natur. „Das ist, weil ich in meinem Leben schon so viel gesehen habe“, sagt sie. Sie mag es, bei einer Tasse Tee lange Gespräche zu führen, Witze zu machen und Gäste zu empfangen. | Foto: Ilya Nodia
„Nach der Schule arbeitete ich in der Kolchose (als Kolchosen bezeichnete man in der Sowjetunion landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, Anm. d. R.), wo ich meinen Mann Nikolai traf. Wir waren ein lustiges und freundliches Paar. Gemeinsam bauten wir uns eine strahlende sowjetische Zukunft auf, gingen tanzen und stritten uns nie. Leider ist mein Mann früh gestorben. Später konnte kein anderer Bewunderer an Nikolai herankommen. Ich habe daher nie Kinder bekommen“, erzählt Anna. Bald nach dem Tod ihres Mannes zog sie nach Moskau, wo sie weiterhin viel arbeitete. Anna tanzt immer noch gerne in ihrer Altenresidenz, aber nur mit Unterstützung. | Foto: Ilya Nodia
Vater und Mutter starben im Krieg, Victor wuchs als Waise auf. In der 5. Klasse erstarrten seine Beine und er konnte zwei Jahre lang nicht laufen. Er hatte 6 Operationen. Viktor erinnert sich noch mit Tränen an den Arzt, der ihm sagte, dass er irgendwann wieder tanzen würde. „Der Junge ist kein Junge mehr, sondern tanzt so, dass die älteren Dame keine Chance haben, sich nicht zu verlieben“, sagt er. Victor arbeitete immer hart, er war Maurer, Dachdecker, Ofenbauer und Chauffeur. Er war Vorsitzender einer Gewerkschaft und später Abgeordneter des Bezirksrates in Leningrad und auch als gerichtlicher Volksgutachter tätig. „Ich war außerdem Modedesigner und Gentleman.“ | Foto: Ilya Nodia
Liebe kennt kein Alter von Ari Seth Cohen, Knesebeck Verlag, 28 Euro